Betrieb, Technik und Verkehrsmanagement des ÖPNV

Im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) müssen viele betriebliche und technische Faktoren passgenau ineinandergreifen, und sein Verkehrsmanagement muss einen sicheren und zuverlässigen Betrieb gewährleisten. Die berufsbegleitende Qualifizierung vermittelt das nötige Wissen und Können für Betrieb, Technik und Verkehrsmanagement im ÖPNV. Wissenschaftlicher Leiter des Programms ist Prof. Dr. Carsten Sommer, Leiter des Fachgebiets Verkehrsplanung und Verkehrssysteme der Universität Kassel. Die Dozierenden sind auf Mobilitätsfragen spezialisierte Wissenschaftler:innen sowie anerkannte Vertreter:innen aus der Praxis des ÖPNV in Deutschland. Klaus Reintjes, Betriebsleiter Straßenbahn- und Omnibusverkehr der Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) ist verantwortlich für das Modul Betrieb des ÖPNV.

Das Modul schließt mit einem Certificate of Advanced Studies (CAS) ab. Das im universitären Kontext neu erworbene Können schafft die Grundlage für die Übernahme von Aufgaben und Verantwortung im Beruf und ist ohne Frage ein Baustein in der eigenen beruflichen Karriere. Das Zertifikatprogramm ist Teil des Studiengangs Master of Science ÖPNV und Mobilität der Universität Kassel und erbringt 18 Credits, die später einmal vollständig im Studiengang Master of Science ÖPNV und Mobilität anrechenbar sind, falls sich die Teilnehmer:innen des Zertifikatprogramms für das komplette Masterstudium entscheiden. Voraussetzung für die Teilnahme am Zertifikatprogramm sind ein erster Hochschulabschluss und mindestens ein Jahr Berufserfahrung. In der berufsbegleitenden Qualifizierung wechseln sich auf dem E-Campus Phasen der Online-Seminare und des Online-Lernens - sowohl individuell, als auch in Lerngruppen - mit Präsenzphasen in Kassel ab.

ÖPNV ist ein Systemprodukt

Der ÖPNV ist für den Diplom Ingenieur Klaus Reintjes ein „Systemprodukt“. Viele Komponenten müssen ineinandergreifen, damit es funktioniert. „Wer das Modul Betrieb, Technik und Verkehrsmanagement absolviert hat, versteht das Zusammenwirken der einzelnen Komponenten im Betriebsablauf des ÖPNV“, versichert Klaus Reintjes, „und die Mischung aus Theorie und Praxis gefällt den Studis am bestem: Wie löse ich die Aufgabe in der Theorie, damit es draußen in der Praxis funktioniert?“

Zum sicheren und zuverlässigen Betrieb des ÖPNV gehören einerseits die Fahrzeuge und die Infrastruktur sowie andererseits die Organisation des Betriebsablaufs selbst, in dem Fahrzeuge auf Basis der geschaffenen Infrastruktur die Passagiere nach einem Fahrplan befördern. Den Planer:innen im ÖPNV stellt sich nicht nur die Herausforderung, einen Fahrplan zu schreiben, der selbstverständlich mit anderen Fahrplänen  vernetzt sein muss, sondern darüber hinaus die Frage: Mit wieviel Fahrzeugen und Personal sowie mit welchen Streckenkapazitäten setze ich den Fahrplan in der Praxis um?

Fahrzeuge, Personal und Strecken

Die Fahrzeuge müssen vorhanden sein oder beschafft werden. Das Personal ist stets zu knapp, und neue Streckenkapazitäten lassen sich nicht über Nacht und bisweilen selbst nicht in Jahrzehnten schaffen. Der S-Bahn-Tunnel in Frankfurt von Sachsenhausen bis zum Hauptbahnhof ist mit Zügen so dicht belegt, dass an eine Erhöhung der Transportkapazität unter den vorhandenen Bedingungen nicht zu denken ist. Auch in anderen Städten, wie in Kassel, ist die Stammstrecke, die durch die Königsstraße als Haupteinkaufsstraße führt, mit Bahnen zahlreicher Linien in einem engen Takt belegt, so dass die Innenstadt von anderen Linien umfahren werden muss und weitere neue Kapazitäten immer wieder diskutiert werden. Zur Kapazitätsplanung gehört freilich nicht nur die Planung neuer Streckenalternativen, sondern auch die Planung von Haltestellen, Wendestellen und zusätzlichen Parallelgleisen, um Züge einander überholen zu lassen. Unter der Bedingung der vorhandenen Streckenkapazitäten wiederum bedeutet Betriebsplanung für Klaus Reintjes die Fahrplanung, aus der die Umlaufplanung für die Fahrzeuge, die Dienstplanung und schließlich die konkrete Fahrzeugeinsatzplanung abzuleiten sind.

Planung ist im ÖPNV noch viel „Handarbeit“

Zwar helfen den Planern Computerprogramme etwa zur Umlaufoptimierung und zur Dienstplanung, „aber es ist noch immer viel Handarbeit“, sagt der Praktiker Klaus Reintjes, denn die Zahl der Faktoren, die in der Rechnung zu berücksichtigen sind, ist so groß und deren Zusammenwirken so komplex, dass die Programme sehr viel Rechenkapazität erfordern. „Vor allem die Dienstplanung ist extrem kompliziert, denn sie basiert auf den Regelungen von Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Und sie hat eine starke soziale Komponente, die mit den Erfordernissen der Wirtschaftlichkeit des ÖPNV-Betriebs in Einklang zu bringen ist“, berichtet Klaus Reintjes aus der Praxis.

Das autonome Fahren kommt erdrutschartig

Das autonome Fahren, erwartet der Diplom Ingenieur, wird nach ersten Versuchen mit Level 4-Fahrzeugen im Straßenverkehr noch in diesem Jahrzehnt „erdrutschartig“ kommen, „denn wir kriegen keine Fahrer:innen“. Auch im Modul Betrieb, Technik und Verkehrsmanagement wird das Autonome Fahren konsequent und stetig an Bedeutung gewinnen.

Verkehrsmanagement ist auch Risikomanagement

Die Arbeit der Leitstelle und die Aufgaben der Betriebssteuerung sind weitere Themen der Planung im ÖPNV. „Wir stellen und diskutieren Fragen des Risikomanagements, der Vermeidung von Störungen und Unfällen – und das stets mit dem Bezug aus der Praxis in die Praxis“, öffnet Klaus Reintjes ein weiteres  Feld. Für die Straßenbahnfahrer:innen gilt der Herbst als eine schwierige Zeit, denn sie fahren – anders als ein Zug der Bahn - nicht auf einer automatisierten Zugsicherung, sondern auf Sicht. Da bei der Bahn Stahlräder auf Stahlschien rollen, fahren Züge und Straßenbahnen immer wie auf Glatteis. Um die Haftung zu verbessern, wird Sand zwischen Rad und Schiene gestreut.  Wenn dann aber im Herbst die Blätter fallen, bildet das häufig nasse und von den schweren Fahrzeugen zerquetschte Laub einen gefährlichen Schmierfilm. Die Bahnen rutschen statt zu bremsen.

Mit 80 Tonnen sicher durch die Einkaufsstraße

„Ein Bus ist ein großes Auto, aber bei der Straßenbahn ist vieles anders“, erläutert Klaus Reintjes die besonderen Anforderungen an den Betrieb des ÖPNV. Es erfordere eine entsprechende Planung, das Fahrzeuge von 80 Tonnen sicher durch die Stadt und selbst durch eine Fußgängerzone fahren können. Dazu gehöre auch die Ausbildung der Fahrer:innen. Beim Omnibus - wie beim Auto - nehmen die Behörden bestimmte Aufsichtsaufgaben war, wie etwa die Vergabe von Führerscheinen. Die Erteilung der Fahrberechtigung für eine Straßenbahn aber obliegt dem Verkehrsunternehmen. Der:die Betriebsleiter:in ernennt die Fahrlehrer:in und stellt den Prüfungskatalog zusammen. „Auch das ist Teil des Moduls Betrieb, Technik und Verkehrsmanagement“, sagt Klaus Reintjes.

Spannende Besuche im Betriebshof

Die Fahrzeuge müssen schließlich auf die Infrastruktur passen. Sie werden zum Teil von den Mitarbeitenden der Verkehrsbetriebe mitentwickelt und in jedem Falle gewartet und gefahren. Den Teilnehmer:innen des Moduls stellt Klaus Reintjes spannende Besuche in der Werkstatt am Betriebshof und das Kennenlernen der Fahrzeuge in der Betriebspraxis in Aussicht: „Sie werden vom Systemprodukt ÖPNV ein ganz anderes und fundamental begründetes Verständnis haben.“